12 Unbekannte - The Beach Boys

Nachdem mich das Konzert in Mönchengladbach vor zwei Wochen noch nicht ganz losgelassen hat und das aktuelle Album „That's why god made the radio“ regelmäßig im Player rotiert, hier nun – nach den Bläck Fööss – das zweite Kapitel der „12 Unbekannten“: Songs, die (unverdient) übersehen werden.

 

1) Be with me (20/20, 1969)

Ein recht düsterer Song aus der Feder von Dennis Wilson, dem lange Zeit unterschätzten und 1983 ertrunkenen Drummer der Band. Langsamer Halftime-Shufflebeat, reichhaltige Orchestrierung und melancholische Harmoniefolgen stützen den immer etwas rauhen Gesang des Schlagzeugers, der hier sogar in Falsett-Höhen vordringt. Das ziemliche Gegenteil von „Fun in the sun“, sondern Ausdruck einer geplagten Persönlichkeit – die sich in Alkohol- und Drogensucht geflüchtet hat.

 

2) The little girl I once knew (Single, 1965)

Hier sind schon alle Merkmale des Meilenstein-Albums „Pet Sounds“ zu hören, welches ein halbes Jahr später erschien. Das Intro der 12-string Gitarre (vgl. „California Girls“), der treibende Viertelnoten Beat der Snare sowie die unorthodoxen Harmonien sind Brian Wilson in Reinkultur. Die Wrecking Crew (Studiomusiker aus LA) fährt wieder schwere Geschütze auf (Vibraphon, Saxophone, eine knackige Bassgitarre), von den Gesangkünsten der Beach Boys ganz zu schweigen. Der Single war jedoch kein Erfolg beschieden, unter anderem wegen der 2 Takten Stille vor jedem Refrain, die bei Radio-DJs verhasst waren. Ein sehr experimentelles Stück Musik.

 

3) In the back of my mind (Today, 1965)

Die zweite Seite des „Today“ Albums besteht aus Balladen, dieser Song ist der letzte der LP, wenn man von der überflüssigen Comedynummer „Bull Sessions with Big Daddy“ (ein Sketch mit einem befreundeten DJ) absieht. Der sehr introvertierte Walzer kommt ohne Hintergrundgesang aus, die Lead-Vocals gibt Brian Wilson dem jüngeren Bruder Dennis, dessen leicht rauhe Stimme dem Song die nötige Zerbrechlichkeit geben. Im Outro zerfällt der Song dann in seine Bestandteile, die Streicher kollabieren beinahe hörbar. Leider schaffte der Song es nur einmal (bei einer gemeinsamen Tour mit Chicago 1975) ins Liverepertoire der Gruppe.

 

4) Spring Vacation (That's why god made the radio, 2012)

Auch mal ein Song vom neuen Album. Auch wenn die Lyrics schwach und klischeebeladen sind (warum muss Mike Love immer wieder die Titel von alten Hits in neue Songs einbauen? → Spring Vacation, Good Vibration...) macht das Lied doch gute Laune. Alle Mitglieder durfen mal die Leadstimme übernehmen, der Groove ist swingig-locker und der Refrain ist mein persönlicher Ohrwurm des Albums. Macht gute Laune!

 

5) Where I belong (The Beach Boys, 1985)

Ich gebs ja zu, das 1985er Album fällt oft in Ungnade – zu viele Synthesizersounds, viele schwache Songs machen es schwer, das Album durchzuhören, gerade im Vergleich mit alten Klassikern. Und doch gibt es hier Schönes zu entdecken, vor allem bei den von Carl Wilson gesungenen Stücken. Where I belong kommt mit sehr sparsamer Instrumentierung aus und gibt der Gruppe viel Freiraum für die verwobenen und geschichteten Gesangsharmonien im Refrain. Die Strophen gehören dann Carl alleine, wer bei dieser Stimme keine Gänsehaut kriegt soll besser weiter Hip-Hop hören.

 

6) This whole world (Sunflower, 1970)

Für viele Fans der beste Song, den Brian Wilson je schrieb. „This whole world“ enthält mehr Tonartwechsel als man beim ersten Hören vermutet. Und doch moduliert der Song alle paar Takte (von C über A und Cis nach Bb...), in welcher Tonart das Stück steht ist schwer zu sagen. Und doch klingt es nicht unnatürlich. Zwei Minuten geniales Songwriting. (Hier eine seltene Liveversion:)

 

7) All this is that (Carl and the passions, 1972)

Ja, Mike Love war 1968 mit den Beatles in Indien und praktiziert/predigt seitdem Transzendentale Meditation. Die Story erzählt er ja regelmäßig bei Konzerten. Gemeinsam mit Gitarrist Al Jardine (Keep it clean with Al Jardine!) war Love ja schon immer das „gute Gewissen“ der Band in allen Drogenfragen. „All this is that“ nun handelt von der TM Lehre, im Outro tönt es sogar „Jai guru dev“. Ein wirklich angenehm beruhigender Song, der auf der 2012er Tour ein überraschendes Comeback in die Setliste machte und bei vielen Zuhörern, die nur die Surf & Car Hits kannten, für überraschte, wenn nicht gelangweilte Gesichter sorgte. Für Fans aber ein schönes Souvenir aus einer lang vergessenen Ära der Band.

 

8) The trader (Holland, 1973)

„Hi!“ Die Stimme am Anfang der Studioversion gehört Carl Wilsons Sohn Jonah. Der Song, ein Live-Favorit der Jahre 1973-1974 und eine der besten Gesangsdarbietungen von Carl, erzählt die Geschichte eines Seefahrers, der ein neues Land besetzt und dabei die Ureinwohner „befreit“. Die Basslinie ist besonders ausgefuchst (ursprünglich auf einem E-Piano gespielt) und die langsamere Coda ist sehr atmosphärisch. Besser noch als die Studioversion ist die Version auf dem Livealbum „In Concert“ von 1973.

 

9) The night was so young (Love you, 1977)

„Brian is back“ hieß es 1976. Nachdem sich der Bandleader Brian Wilson jahrelang den Drogen und Depressionen hingab, zerrten ihn die Brüder und Bandkollegen zurück ins Studio und auf die Bühne. Nach einem halbgaren Coveralbum (15 Big Ones, 1976) erschien mit „Love you“ 1977 ein Album, das man liebt oder hasst. Wilsons teilweise infantilen Texte, gepaart mit eigenwilliger Instrumentierung (größtenteils Moog-Synthesizer und Snaredrum) und der nach jahrelangem Kettenrauchen und Kokain-Schnupfen nicht wiederzuerkennenden Stimme des Masterminds geben uns Einblick in das Gedankenchaos eines Genies. „The night was so young“ ist einer der schönsten Songs auf dem merkwürdigen Album, das Brian Wilson oft als sein Liebstes bezeichnet.

 

10) Busy doin' nothin' (Friends, 1968)

Ungewohnte Bossa Nova Klänge ertönen bei „Busy doin' nothin'“, das eine sehr relaxte Grundstimmung mit sich trägt. Insgesamt ist „Friends“ das wohl unkommerziellste Album der Band, durchzogen von ruhigen kleinen Songs, wenn da nicht das lärmende Schlussstück wäre, das (ironischerweise?) „Transcendental Meditation“ heißt (nach dem neudeutsch „gechillten“ Album ein ziemlicher Schreck). Der Text von „Busy doin' nothin'“ enthält eine Besonderheit: er beschreibt – von einem ungenannten Startpunkt aus – den Weg zu Brian Wilsons damaligem Haus in Bel Air.

 

11) She's going bald (Smiley Smile, 1967)

„Smiley Smile“ entstand nach Abbruch der „Smile“ Sessions in kurzer Zeit in Brian Wilsons Heimstudio. Beinahe A-Capella, nur untermalt von der hauseigenen Orgel, werden hier Fragmente aus „Smile“ umgetextet, neu geordnet oder auch einfach spontane Albernheiten festgehalten. Die Musik zu „She's going bald“ gehörte ursprünglich zum „Smile“-Versatzstück „He gives speeches“ - warum Mike Love, der selbst seit Mitte der 60er aufgrund lichter werdendem Haupthaar nur noch mit Kopfbedeckung zu sehen ist, auf die Idee von einer Dame mit Haarausfall kam, ist unbekannt. Vielleicht war es aber auch ein Seitenhieb von Cousin Brian. Was für die Zeit außergewöhnlich war, ist der „Pitch-Shifting“ Effekt am Ende des Songs, bei dem die Stimmen immer höher werden, das Tempo aber gleich bleibt. Im Computerzeitalter eine Leichtigkeit, Ende der 60er aber nur mit viel Trickserei zu realisieren.

 

12) The nearest faraway place (20/20, 1969)

Um das Dutzend voll zu machen noch eine Instrumentalnummer für Piano vom „sechsten Beach Boy“ Bruce Johnston, der 1965 als Tourersatz für Brian Wilson in die Band einstieg und in den 70ern Barry Manilow mit „I write the songs“ einen Welthit schrieb. „The nearest faraway place“, tatsächlich regelmäßig auf Livekonzerten der späten 60er dargeboten, zeigt, dass Johnston wohl der beste Pianist der Gruppe war. Burt Bacharach wäre stolz auf diese Nummer – schade, dass Johnston seit den 90er Jahren bei Konzerten mehr Zeit damit verbringt, das Publikum zum mitklatschen anzuregen und sein Mikrofon zu richten, als in die Tasten zu hauen. So muss man sich Alben und Livemitschnitte aus der Zeit um 1969 anhören, um sein Talent zu erkennen und zu würdigen – auch wenn sich seine wenigen Beach Boys Kompositionen oft am Rande des Schmalzigen bewegen. (siehe Disney Girls, Endless Harmony...)