Review: Billy Joel - Cold Spring Harbor

 

Billy Joel's Plattenkarriere begann für die große Öffentlichkeit erst 1973 mit dem Erfolgsalbum "Piano man" und dem gleichnamigen Hitsong. Sein zwei Jahre zuvor erschienenes Debütalbum "Cold Spring Harbor", benannt nach der Ortschaft auf Long Island, New York, fristete dagegen jahrelang ein Schattendasein - aufgrund einiger widriger Umstände, denn musikalisch braucht sich das Werk nicht vor den folgenden, weitaus erfolgreicheren Alben zu verstecken.

Der damals erst 22-jährige Pianist und Songschreiber Billy Joel durchlebte im Jahr 1970 eine schwere Depression, die in einem Selbstmordversuch endete, den er nur dank der schnellen Hilfe seines Schlagzeugers überlebte, der ihn fand, nachdem Joel eine Flasche Möbelpolitur getrunken hatten. Als persönliche Therapie schrieb er einige der Songs des Albums, "Tomorrow is today" zitiert beispielsweise seinen Abschiedsbrief.

 

Herausgebracht wurde das Album des damals unbekannten Musikers von der kleinen Plattenfirma "Family Records", deren Besitzer Artie Ripp dem unbedarften Joel gleich einen Vertrag über zehn Alben aufschwatzte. Dem entging Joel nur, da Ripp nicht gerade viel vom One-Man Job als Produzent und Verleger verstand - das Mastering des Albums fiel desaströs aus, nicht zuletzt weil alle Songs in zu hoher Geschwindigkeit und damit mehr als einen Halbton zu hoch auf das Album gepresst wurden. Joel tobte, als er seine Micky-Maus Stimme vom Plattenspieler hörte. Erst 1983, als Joel bereits ein etablierter Künstler war, kam das Album in korrigiertem Re-Mastering auf den Markt.

 

Doch nun zur Musik: Durch die sehr sparsame Instrumentierung kommt die Stimme und das geschmackvolle Klavierspiel des jungen Billy Joel sehr gut zur Geltung, man hört deutlich den Einfluss eines Paul McCartney. Die romantische Ballade "She's got a way" sowie das zynische "Everybody loves you now" sind heute noch Klassiker in Joels großer Songauswahl. Beide Songs sind übrigens in hervorragenden Liveversionen auf dem Livealbum "Songs in the attic" zu hören.

 

"Why Judy why" klingt mit seiner Gitarrenbegleitung fast nach Reinhard Mey, Joels hohe und teilweise ins Falsett wechselnde Stimme sind noch weit entfernt von der Dreckigkeit einiger späterer Aufnahmen.

 

Joels Klavierspiel trägt das gesamte Album, vom flotten Intro von "Falling of the rain", auf dem der Komponist auch das Cembalo bedient, über die instrumentale "Nocturne" bis hin zum emotionalen Schlussstück "Got to begin again". Das Hammondorgel-Intro aus "You look so good to me" bildet da einen schönen Kontrast. 

 

Nach nur 10 Songs in einer knappen halben Stunde ist das Album dann schon vorbei. Der Song "You can make me free" wurde allerdings beim Remastering einer längeren Coda beraubt, die auf einem spontanen Studiojam beruhte. Auch wurden 1983 einige Schlagzeug- und Synthesizerspuren neu aufgenommen, um das Album klanglich an die bis dahin erschienenen Nachfolgealben anzupassen. Größere Orchestrierungen wurden dafür herausgemischt, was dem intimen Gesamtsound der Platte zugute kommt. 

 

Eine Empfehlung besonders an Pianisten und Singer/Songwriter, die gute melodische Musik ohne viel Schnickschnack zu schätzen wissen.