Review: Paul McCartney - Chaos and creation in the backyard

Paul "Macca" McCartney war schon zu Beatles-Zeiten als der "Schönling" und "Schnulzenschreiber" der Band verschrien. Zu bekannt sind Songs wie "Yesterday" oder "Let it be", als dass sie nicht einen Schatten über die zahlreichen zu unrecht übersehenen Meisterwerke des Multiinstrumentalisten werfen würden. Nicht zuletzt hat McCartney mit Hits wie "Silly Love Songs" oder "Mull of Kintyre" auch nach Auflösung der Beatles sich selbst immer wieder als Freund der seichten Popmusik geoutet, von Ex-Kollege Lennon damals als "Muzak" tituliert. Oder sprach da der Neid über das damals schon enorme Einkommen des früheren Partners?

Jedenfalls konnte man jahrelang mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, was ein neues McCartney Album mit sich brachte: Gut gemachte, radiotaugliche Popmusik, mal mehr und mal weniger klischeehaft - aber dass bei einem solch großen Repertoire sowohl Belanglosigkeiten als auch Welthits zu finden sind, ist klar.

 

2005 hieß das neueste Werk "Chaos and Creation in the backyard", und schon das Coverfoto von 1962 ist nostalgisch - Klein-Paul mit Gitarre im Garten. "Producer by Nigel Godrich" ist zu lesen, und Musikkenner sollten hier stutzig werden - der Junge Wilde, der Bands wie Radiohead oder Travis produziert, soll McCartney aufnehmen? Na, ob das mal gutgeht. Erste Amtshandlung des von George Martin persönlich empfohlenen Produzenten war es, McCartneys (hervorragende!) Band in Urlaub zu schicken und McCartney die meisten Instrumente selbst spielen zu lassen - Bass, Gitarre, Klavier, Schlagzeug und diverse Exoten. Schließlich ist Macca auf all diesen Instrumenten mehr als fähig, einen Song zu begleiten. Der Sound des Albums ist insgesamt angenehm "altmodisch" ausgefallen, wenig Elektro-Spielereien, dafür mehr Akustik-Gitarren, Pianos und Chorgesänge, ganz wie in alten Zeiten.

 

Die Stimmung des Albums ist überraschend schwermütig, keine "Silly Love Songs", im Gegenteil gereifte, nachdenkliche Ansichten über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Auf dem Opener "Fine Line" rockt die One-Man-Band aber erstmal los, lediglich von leichten Streicherklängen ergänzt. Doch schon bei "How kind of you", das von Klangteppichen aus Tape-Loops und Harmonium getragen wird, schaltet McCartney einen Gang zurück und vermittelt echte Nachdenklichkeit über die Vergänglichkeit und das eigene Älterwerden.

 

"Jenny Wren" steht in der Tradition von "Blackbird" - McCartneys gezupfte Akustikgitarre wird lediglich von einem Duduk-Solo (ein Blasinstrument) unterstützt. Der Beatles-Einfluss ist besonders stark bei Nummern wie "Follow me" oder "Promise to you girl" zu hören, "Friends to go" klingt wie ein verschollenes Werk von George Harrison, dessen typische Akkordwechsel hier verarbeitet wurden.

 

"English Tea", eine altmodische Klaviernummer im Stil von "When I'm 64" oder "Good day sunshine", die Bossa-Nummer "A certain softness" und das verstörende "Riding to Vanity Fair", ein Highlight der Platte, zeigen McCartneys riesige Experimentierfreude und stilistische Vielfalt. Nur die beiden Balladen "This never happened before" und "Anyway" sind direkt hintereinander etwas viel des Guten als Schlussnummern des Albums, wenn auch handwerklich perfekt gearbeitet.

 

"Chaos" ist ein überraschendes Album, die Zusammenarbeit von McCartney und Godrich trug reiche Früchte, wenn sie auch Berichten zufolge nicht immer einfach war - Godrich kritisierte Songvorschläge McCartneys unverblümt, musste sich sogar einmal als "frechen kleinen Wichser" bezeichnen lassen - doch der Qualität des Albums kam es nur zugute. Ein genaues Hinhören lohnt sich, erst nach mehrmaligem Durchhören lernte ich jedenfalls dieses 21. McCartney Album richtig zu schätzen. Gerade seine ernste Seite hat McCartney selten so direkt gezeigt, was seinem Ruf aber nur guttun kann. Nicht zuletzt steht der erfolgreichste Songwriter auch mit fast 70 noch auf der Bühne. Solche Alben wie "Chaos" machen sich gut in seiner Discographie - da nehmen wir auch die Schnulzen nicht mehr so eng und freuen uns, wenn beim Autofahren wieder "Hope of Deliverance" (oder "Hau auf die Leberwurst" laut WDR) im Radio läuft!

 

Übrigens: Wer McCartney bei der Arbeit zusehen möchte, dem sei die Show "Chaos and Creation at Abbey Road" empfohlen (gibts u.A. bei Youtube)

 

 

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